Weltethos-Institut Jahresbericht 2022

JAHRESBERICHT 2022 – Weltethos und die Wissenschaften
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Methodik und Moral – Forschung am Weltethos-Institut
Was ist engagierte Wissenschaft? Wie übernehmen wir in der Forschung Verantwortung? Am Weltethos-Institut stellen wir uns regelmäßig die Frage, wie wissenschaftliche Forschung mit ethischer Reflexion verbunden ist. Darf und kann es das überhaupt geben – eine Wissenschaft, die Werten verpflichtet ist, die gesellschaftliche Verantwortung übernimmt und sich für soziale oder ökologische Problemlösungen einsetzt? Oder sollten wir nicht vielmehr sauber trennen zwischen Engagement und Wissenschaft, damit wir keine „Gesinnungsaufsätze“ oder gut gemeinte Auftragsforschung produzieren, womöglich eine weltanschaulich ausgerichtete und politisch einseitige Praxis des Forschens ausbilden, bei der nicht das Wahre, sondern das (von wem auch immer definierte) Gute im Mittelpunkt steht?

Unser Jahresthema 2022, „Weltethos und die Wissenschaften“, hat uns die Möglichkeit gegeben, diesen Zusammenhängen nachzugehen. Wir haben erkundet, wo die wissenschaftliche Methodik in Gefahr geraten kann, wenn moralische Ziele verfolgt werden – oder wo ganz im Gegenteil wesentlicher Wissensgewinn überhaupt erst entsteht, wenn auch die ethische Dimension wahr- und ernstgenommen wird. Lernen konnten wir, dass wir in der wissenschaftlichen Arbeit immer gleichermaßen die Welt wie uns selbst erkunden.
Es war ein intensives Forschungsjahr, in dem wir diese Thematik der Selbst- und Welterkenntnis auf vielen Gebieten weitertreiben konnten. Wir taten das zum Beispiel mit zahlreichen Veröffentlichungen, mit Veranstaltungen und Seminaren, durch Vorträge und Vorlesungen in Tübingen und anderswo. Und durch viele Diskussionen mit Menschen weltweit. An einigen Beispielen sei kurz erläutert, wie Wissensgewinn und Verantwortungsübernahme, ethisches Bewusstsein und akademische Innovation für das Team des Instituts zusammenpassen.

Bei unseren Veröffentlichungen wird das schnell deutlich. Aus der Fülle von Fachaufsätzen und Beiträgen greife ich einige längere Werke heraus: Ulrich Hemel legte zum Beispiel als Mitautor einen Band zur „Digitalen Kompetenz im Beruf“ vor. Damit knüpfte er nicht nur an seine umfangreiche „Kritik der digitalen Vernunft“ an, sondern wies eindringlich auf Gefahren und Potenzial der Digitalisierung in der Wirtschafts­praxis hin, die nie nur und ausschließlich eine technische Veränderung ist.

Zu den ethischen Fragen im Finanzbereich, bei Börse und Investment, veröffentlichte Bernd Villhauer seine Einführung „Finanzmarkt und Ethik“, die allgemeinverständlich eine Orientierung zu Themen gibt, die viele Menschen beschäftigen. Die Resonanz (eine zweite Auflage ist in Arbeit) zeigt, dass es an der Zeit ist, „Responsible Finance“ auf allen Gebieten voranzubringen.

Bemerkenswert vielseitig ist der Tagungsband „Globalisierung, Menschenrechte und Wirtschaft“, herausgegeben von Sabine Schössler, Gunter Geiger und Ulrich Hemel, in dem neben sozialethischen auch historische und juristische Fragen behandelt werden, die eine menschenrechtskonforme Entfaltung der wirtschaftlichen Globalisierung betreffen. Der Band beruht auf den Beiträgen einer Fachtagung in der Katholischen Akademie Fulda.

Überhaupt bringen Tagungen und Kolloquien immer wieder neue Ideen und Herausforderungen auf. Sie motivieren das Team, sich in wissenschaftliche Diskurse einzubringen, eigene Themen zu vermitteln und von fremden Erkenntnissen zu profitieren. Dies gilt auch für die Tagung „Wissenschaft als Teil der Zivilgesellschaft“ am 4. und 5. August 2022 in Hannover, die gemeinsam mit dem Institut für Sozialstrategie (ifs) und dem Forschungsinstitut für Philosophie Hannover (fiph) ausgerichtet wurde.

Die Tagungen „draußen“ stehen immer in inhaltlicher Verbindung mit den Veranstaltungen „drinnen“, sei es das Kolloquium „Transformierende Lehre“ oder diverse Vorträge wie beispielsweise der von Prof. Alicia Hennig zum sehr aktuellen Thema „Verbrechen gegen die Menschlichkeit an den Uiguren: Implikationen für deutsche Unternehmen in der Provinz Xinjang“.

Solche Verschränkungen von Forschung und Lehre werden besonders greifbar in der Arbeit der World Citizen School, die untrennbar mit dem Namen Michael Wihlenda verbunden ist. Auch er konnte einen Forschungstext vorlegen, der zugleich seine Promotionsarbeit ist: „Social Innovation Education: Responsible Learning in Communities of Practice”.
Hervorzuheben ist auch die 2022 vorgelegte Dissertation von Dr. Volker Rekittke, die Forschung und wirtschaftspolitisches Engagement verbindet. Und schließlich wurde am Weltethos-Institut ein Fellowship-Programm begonnen, das nun erste Früchte trägt mit der Arbeit von Dr. Hannes Kuch zum Thema „Menschenpflichten und Menschenrechte am Beispiel der Ethik in Lieferketten“. Geradezu vorbildlich kommen auch hier nochmals der ethische Impuls, die wissenschaftliche Innovation und der ökonomische Blick auf das Weltganze zusammen.

Bei vielen Gelegenheiten haben wir erkannt, dass engagierte Forschungsarbeit auf humane Denk- und Lebensweisen setzt, in denen Moral und Methodik, Wert und Wissen, Anspruch und Analyse gleichermaßen vertreten sind. Vielleicht können wir so Max Webers Befürchtungen gerecht werden, der eine Gesellschaft von „Fachmenschen ohne Geist, Genussmenschen ohne Herz“ am Horizont sah und auf seine Weise Bausteine für ein Ethos der wissenschaftlichen Neugier beschrieb.

Dass noch so vieles dabei zu lernen ist, das macht uns nicht mutlos, sondern gibt uns Hoffnung für viele weitere Jahre der engagierten wissenschaftlichen Arbeit.
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